top of page

In Zeiten wie diesen

Gedanken zur Krise, formuliert von Schülerinnen und Schülern der 4d-Klasse


Der Innere Monolog ist eine Textgattung, die erst in der achten Schulstufe auf dem Deutsch-Lehrplan steht, geht es dabei doch darum, eigene Befindlichkeiten in Form einer gedanklichen Selbstreflexion schriftlich zu artikulieren, quasi als Ventil für eine belastete Seele in den schwierigen Tagen und Wochen des Lockdowns. Es sind sehr persönliche Gefühls-Äußerungen, die so in der letzten Märzwoche vor Ostern in der Isolation entstanden sind. Auf die Namen der Verfasser wird daher verzichtet.

Red.




Gottseidank gibt es Benny


Ich zittere am ganzen Körper. Mir ist kalt. Wie spät ist es? Was, erst 5.36 Uhr? Blöder Wecker - zeigt mir die Zeit und jetzt kann ich nicht mehr einschlafen. Ich drehe mich nach links und hülle mich in meine Decke. Ich wälze mich nach rechts. Zwecklos! Das mit dem Einschlafen wird nichts mehr. Besser aufstehen als unruhig herumliegen. Wie eine alte Oma setze ich mich mit großer Mühe auf und starre schlaftrunken vor mich hin. Mathe in der ersten Stunde - jetzt ist es mir eingefallen- null Motivation. Ich schleppe mich ins Bad - null Motivation. Waschen - null Motivation. Anziehen - null Motivation. Immer noch frierend mache ich mich fertig für einen Tag, der sich immer gleich wiederholt. Sch... Corona! Jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch. Sessel zurechtrücken, Unterlagen bereithalten, Laptop einschalten - immer das Gleiche, Tag für Tag. Einerseits freue ich mich auf den Tag, weil wir heute VU haben und weil es danach mein Lieblingsessen zu Mittag gibt, andererseits ist Mathe. Und das gleich in der ersten Stunde. Und auskennen beim aktuellen Thema? Fehlanzeige! Trotzdem: Ein fröhlich wirkendes “Guten Morgen” in den Chatroom, obwohl ich jetzt viel lieber gemütlich mit Freunden zusammensitzen würde um Spaß zu haben. Sch... Corona! Aber ich mache gute Miene und arbeite fleißig im Unterricht mit. Die Zeit vergeht wie im Flug. Was? Schon 3 Minuten Pause? Gibt´s das? Pause versäumt. Dabei muss ich unbedingt mit “Benny” spielen, der wedelt eh schon die ganze Zeit um meine Füße herum. Corona ist ihm egal. So sehr mich sein Gebelle nervt, so sehr liebe ich ihn über alles. Gottseidank haben wir den kleinen Tollpatsch. In Zeiten wie diesen.


Raus!


Ich öffne die Augen und denke: Wann ist der Schrecken vorbei? Wann werden die Zeiten wieder so, wie sie waren? Schon jetzt fühlt sich der Tag so furchtbar lange an. Und alle sagen, dass das noch lange so weitergehen soll. Der Vormittag fliegt vorbei und ich beschließe laufen zu gehen. Ich werde sonst noch wahnsinnig vom täglichen Geschrei der Eltern, wenn ich etwas nicht ganz perfekt mache. Auch meine kleine Schwester nervt ungemein, wenn sie alle drei Minuten in mein Zimmer kommt und etwas fragt. Kann sie das nicht selber machen? Die ist ja nur zu faul! Ich ziehe mir die Weste über. Trinkflasche nicht vergessen, Laufschuhe schnüren und hinaus, hinaus in die Stille und Zeit haben zum Nachdenken, hinaus zu den Vögeln. Wie freue ich mich auf ihr Gezwitscher. Als ich die Kälte an meinem ganzen Körper spüre, läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Soll ich umkehren, zurück in die Wärme? Nein, das mache ich nicht, da ist nur Lärm. Meine Beine laufen ohne nachzudenken. Sie bewegen sich von selbst. Ich fühle mich frei, ohne Sorgen. Wie tut das Laufen gut. Ich spüre meine Schritte, meinen Atem. Ich laufe in den Wald hinein bis zum See. Er ist wunderschön mit dem Baum, der am anderen Ende ins Wasser hängt. Da, eine Bank! Die kommt wie gerufen. Eine kleine Pause darf ja sein. Wo ist die Flasche? Ich nehme einen großen Schluck. Ahh, herrlich, wie das kühle Nass durch die Kehle gluckert. So, weiter. Ich schaue auf mein Handy. Drei verpasste Anrufe! Jedes Mal Mama: „Komm heim, es gibt Essen!!!“. Das gibt sicher Ärger. Soll ich direkt nach Hause laufen oder durch den Kindergarten-Wald? Dort habe ich als Kind gespielt. Mit Stöcken und Seilen haben wir damals kleine Häuser gebaut … ist auch schon wieder lange her. Aber jetzt weiter, bevor daheim alles weggefuttert ist, ehe ich überhaupt da bin. Keuchend und frierend stehe ich vor der Haustür. Wo habe ich nur den Schlüssel? Wie blöd von mir, vergessen! Jetzt muss ich läuten. Mutter wird sicher schimpfen. Da öffnet sich die Tür. Mama hält mir das Essen vor die Nase: „Ist schon kalt!’’


Quarantäne

Mittwoch, halb elf Uhr. 2 Stunden “Schule” habe ich bereits hinter mich gebracht. Ich bin daheim und sitze vor meinem Laptop. Irgendwie komisch - daheim und doch nicht. Corona lauert überall. Nur in den eigenen vier Wänden bin ich sicher. Online lernen, Nachrichten schauen, neue Daten, neue Ängste. Corona, Corona, Corona - keine Chance, dem Wort zu entgehen. Schule aus. Nach Hause gehen heißt jetzt nur aufstehen. Nun ist mir langweilig. Videos schauen im Internet oder im Buch weiterlesen? Beides ok. Da steigt mir ein Duft in die Nase. Ich kenne ihn. Heute gibt es Lasagne - eines meiner Lieblingsgerichte. Tap-tap-tap die Stiegen hinunter und schon bin ich in der Küche. Essen auftragen, das kann ich, das mache ich schon ewig, ist mein Job. Da bin ich Meister. “Danke für das gute Essen!” und schon bin ich weg. Brrrr, wieso ist es so kalt in meinem Zimmer? Oje, das Fenster steht weit offen. Das kommt davon, wenn man vergesslich ist. Aber zum Glück wird es schnell wieder warm - der Heizung sei Dank. Was soll ich jetzt machen? Mit meinen Freunden kann ich mich ja nicht treffen. Ein Familienspiel? Dort im Kasten ist eines. Das hole ich, vielleicht haben die Eltern und mein kleiner Bruder Zeit. Eltern? Fehlanzeige, aber logisch, die haben jetzt andere Sorgen. Also kann da nur der Bruder helfen. Wirklich? Der ist 4 Jahre jünger und hat andere Interessen. Kann er nichts dafür. Und ich auch nicht. Bleibt nur das, was ich dauernd mache: Mit Freunden telefonieren. Was wäre das Leben jetzt ohne Handy? Aber gemeinsam treffen und miteinander reden? Tausendmal besser! Aber da muss ich durch, da müssen wir alle durch, weil sonst viele Menschenleben in Gefahr sind.


Verwirrte Gedanken


Das alles kommt mir ziemlich komisch vor. Obwohl ich gerade mein Lieblingsbuch lese, werde ich ein merkwürdiges Gefühl nicht los. Die Stelle ist total spannend und ich bin ganz in der Handlung, dennoch beschleichen mich vom Kopf her ganz andere Gedanken. Corona. Das klang anfangs gar nicht gefährlich. Weit weg – in China. Und plötzlich ganz nah im Nachbarland Italien. Und nun auch bei uns. Nun ja, für mich mag das Virus nicht sehr gefährlich sein, aber trotzdem wird es langsam zur Katastrophe. Die Medien nehmen Sätze wie „Krise, Todesrate, Bedrohung“ in den Mund, die die Bevölkerung in Angst versetzen. Plötzlich keine Nudeln mehr, kein Reis und kein Klopapier mehr in den Regalen der Supermärkte. Hamsterkäufe überall, egal in welches Geschäft man auch schaut. Die Italiener tun mir leid. Wird auch Österreich in dieses Fiasko schlittern? „Bleib daheim!“ tönt es im Chor aus dem Handy, aus dem Fernseher und in der digitalen Schule. Besteht wirklich ein Grund für Panik oder ist doch nicht alles so schlimm? Ich bin verwirrt. Gleichzeitig schneit es draußen und bald ist Ostern. Nicht nur ein Virus, auch der Klimawandel macht der Welt zu schaffen. Auch das macht mir Sorgen. Werden sich die Menschen nach dem Abklingen der Pandemie auch noch damit beschäftigen oder werden sie darauf vergessen? Langsam kommen Zweifel hoch was das Wohl unserer Erde betrifft. Und doch sitze ich friedlich und gemütlich vor meinem Fenster und lese in meinem Lieblingsbuch.

Mein Corona-Alltag


Heute ist Mittwoch. Noch etwas müde und verschlafen sitze ich morgens vor meinem Computer. Ich werde ihn jetzt gleich einschalten. Dann wird er wieder losgehen, der tägliche Trott. Es dauert nicht lange, und der helle Schirm flimmert. Er blendet mich fast. Ich bin nicht motiviert. Mir ist langweilig und ich fühle mich einsam, denn ich kann meine Freunde nicht sehen. Die aktuelle Situation bedrückt mich und ich finde es schade, dass alles geschlossen ist. Aber überall höre und lese ich, dass das vernünftig ist. Scheiß Corona, warum musste uns dieser blöde Virus treffen? Aber genug gegrübelt, der “Unterricht” beginnt. Dann drücke ich halt auf “Chat”. Physik habe ich jetzt am Stundenplan, nicht gerade mein Lieblingsfach, aber mein Lehrer hat einen Stream eingerichtet. Das ist ganz lustig, ich kann ihn sogar am Bildschirm sehen. Schon erhalte ich die Aufgaben und lese mir alles genau durch und beginne mit meiner Arbeit. Wie schnell zwei Stunden vergehen … Pause … komisch … wo ich doch daheim bin. “Klick” und schon wieder im Chat - bereits vor Beginn der nächsten Stunde wie viele andere aus meiner Klasse. Haben die nichts anderes zu tun? Denen ist wohl genauso fad wie mir. Jetzt also Deutsch, ein Fach, das ich mag und auch den Lehrer, ich freue sogar schon ein bisschen darauf. Einen Text soll ich schreiben, einen Inneren Monolog. Noch nie gehört davon. Probier ich es halt, bin ja nicht schlecht im Schreiben. Und siehe da, es macht sogar sehr viel Spaß. Ich schreibe mir die Seele aus dem Leib. Minuten kommen mir vor wie eine Ewigkeit, mein Text ist fertig und ich gebe ihn ab. Unterricht aus. Essen, Hausübung machen, tagaus, tagein, tagaus, tagein …, so tickt es jetzt in meinem Corona-Alltag.


Spaziergang mit Rocky


Donnerstag. Coronazeit. Zu Hause ist mir die Luft schon zu dick geworden. Ich muss raus. Rocky wedelt vor Freude, als er merkt, dass er mit ins Freie darf. Soll ich die große Runde nehmen? Da kann ich richtig abschalten und die vielen Gedanken, die mich beschäftigen, einfach loslassen. Manchmal tut es gut, alleine spazieren zu gehen. Heute besonders. Ich höre ein eigenartiges Geräusch aus dem Wald. Rocky ist ganz aufmerksam, er hat es schon vor mir bemerkt. Er spitzt die Ohren und bleibt stehen, aber ich gehe einfach weiter. Soll ich besser den anderen Weg nehmen? Da muss ich aber durch eine Siedlung, da sind auch andere Hunde. Und Rocky wird bellen, wenn er die bemerkt. Da habe ich etwas Angst davor. Aber alles geht gut. Sind die Hunde etwa auch schon in Quarantäne? Im Wald angekommen habe ich keine Lust mehr weiterzugehen. Ich setze mich einfach auf den Boden. Es ist warm dort, obwohl der Frühling erst begonnen hat. Aber die Sonne scheint und es ist heiß. Wie angenehm. Endlich draußen. Mir gehen mir sehr viele Gedanken durch den Kopf, gute und weniger gute. Gefühlt denke ich an alles und über jeden nach, über Sachen, die mich glücklich machen und über Situationen, die mich bedrücken. Corona… überall in den Medien. Wann wird das endlich vorbei sein? Ich raffe mich auf, habe meine Motivation wieder gefunden. Im Wald höre ich die Vögel singen und das macht mich sehr glücklich. Irgendwo klopft ein Specht. Ich schaue zu den Bäumen hinauf um ihn zu finden. Einem hämmernden Specht zuzuschauen, das wär was. Da ist er! Direkt vor mir am Stamm! Traumhaft! Erst nach einiger Zeit kann ich mich von dem Anblick lösen und spaziere weiter, Rocky immer neben mir an der Leine. Braver Hund! Plötzlich ein Reh! Zwei bis drei Meter vor mir überquert es seelenruhig den Waldweg. Es hat uns wohl nicht im Wind und kann uns daher nicht riechen. Gottseidank halte ich meinen Hund fest an der Leine. Aber der schaut nur. Schließlich ein bisschen Gebell. Das genügt, dass das Reh im Wald verschwindet. Ich fühle mich wie in einem Märchen. Als wir an den Teichen vorbeikommen, pocht abermals mein Herz ein bisschen heftiger. Da steht ein Storch im seichten Wasser, einer der ersten in diesem Frühjahr. Ob er fischen will, so wie er den Schnabel ins Wasser hält? Wahrscheinlich erwischt er eh nur Frösche. Hoffentlich sieht ihn der Teichbesitzer nicht. Wieder daheim. Hinein ins Zimmer und Türe zu. Für den restlichen Tag bin ich glücklich.

Glück gehabt


„Grrrrrring!!!!“ Ich schrecke auf und falle beinahe aus dem Bett. Es dauert einige Sekunden, bis ich weiß, wo ich bin. Halb neun ist es. Langsam kommt die Erinnerung an Mutters gestrige Worte: „Bis 9 Uhr bist du mit dem Aufräumen des Zimmers fertig. Wir machen eine Familienausflug in den Wald“. Ein Ausflug? Besser als daheim herum zu hocken in diesen faden Zeiten, wo alle nur von Corona reden. Sie hat mir sogar verboten, einen Freund mitzunehmen. Pech! Jetzt muss ich ganz alleine mit meinen beiden Brüdern zurechtkommen. Diese Quälgeister. Wenn ich bis dahin in der Unordnung meines Zimmers versinke, soll es mir auch recht sein. Man glaubt es kaum. Es grenzt an ein Wunder, es ist Punkt Neun und ich bin tatsächlich fertig geworden. Das freut die Mama: „Du darfst doch einen Freund mitnehmen.“ Danke! Super! Aber keiner meiner Kumpels hat Zeit oder Lust mir Unterstützung zu geben. Lauter faule Ausreden: Verabredung mit der Spielkonsole oder Chatten mit anderen. Vater weiß es besser: „Besuchsverbot wegen des Corona-Virus!“ Im Auto dicke Luft. Mir platzt gleich der Kragen: „Wenn ihr zwei Kleinen jetzt nicht sofort die Klappe haltet, dann knallt es, aber wie!“ Das wirkt. Da ist der Parkplatz. Mutter muss noch ihre kompletten Whats-App-Nachrichten lesen. So, sie ist fertig. Nein, sie schreibt noch zurück. Das dauert. Wir wissen ja, wie Erwachsene Nachrichten schreiben, gefühlt einen Satz pro Stunde. Die Bäume machen keinen Eindruck auf mich. Ohne Freunde ist es fad und öd. Und nun fangen sie auch noch an das Waldwichtellied zu singen: „Wir gehen in den Wald, tralala …“. Ich lasse mich zurückfallen. Dieses Lied ist nicht umsonst in Island geschrieben worden, wo alle ein wenig verrückt sind und an Wichtel, Kobolde und Elfen glauben. Sogar ein Einkaufszentrum sollen sie verhindert haben, nur wegen eines Wichtelfelsens, der im Weg stand. Die spinnen, die Isländer. Aber halt, wo bin ich da vor lauter Elfengedanken hingeraten? Wo sind meine Eltern und meine nervigen Geschwister? Das wird doch nicht das Werk der Fabelwesen gewesen sein, die ich gerade verspottet habe? „Entschuldigung!“ Habe ich das jetzt wirklich gesagt? Was ist das da vorne? Schlägt da jemand mit einer Keule auf einen Baumstamm ein? Mein Herz rast. Schweißperlen stehen auf meiner Stirn. Soll ich flüchten? Und gleich da vorne im Baumloch, glänzen da Flügel hervor? Elfenflügel vielleicht? „Ha!“ schreit jemand hinter mir. Ich schrecke zusammen. Mein Vater ist es, der lachend auf mich zukommt: „Haben wir dich doch noch gefunden.“ Vorne schlägt ein abgebrochener Ast auf einen Baumstamm, im Baumloch hat ein Wanderer ein Plastiksackerl entsorgt. Glück gehabt!


Leider nix

Endlich sind meine Eltern einkaufen gefahren. Wo ist die Fernbedienung? Ist sie hier? Ne! Oh, da ist sie ja. Wer legt die bitte da hin? Ich glaube, das waren meine kleinen Geschwister. Gottseidank sind die draußen im Garten. Eigentlich sollte ich auch mal rausgehen. Ach egal mach ich morgen, ich nütze die Gunst der Stunde. Hm...welchen Film schaue ich mir an? ... Hab ich schon gesehen, den auch, der ist schlecht bewertet, der schaut ganz gut aus, der wird es. Er beginnt etwas langsam, aber siehe da, er wird immer besser. Ich kann gar nicht mehr aufhören hinzuschauen. Aber was ist das? “Ding Dong“. Hä? Wo ist die verflixte Fernbedienung? Aber meine Eltern läuten doch nicht, wenn sie heimkommen. Wer kann das also sein? Oh, nur mein alter Nachbar. Was will er? Ich soll für ihn einkaufen gehen? Von mir aus, mache ich gern. So, endlich wieder daheim vom Einkaufen. Der Nachbar hat sich gefreut. Jetzt aber weiter mit dem Film! “Wir sind wieder zuhause!“ Na toll! Müssen die jetzt kommen! Das wird heute nix mehr mit meinem Film.

Joggend durch die isolierte Nachbarschaft

Ich schalte meine Kopfhörer ein und beginne zu laufen. Harry Potter dröhnt in meinen Ohren, während ich an der Nachbarschaft vorbeikomme. Es ist kalt, aber meine Jacke hält mich warm. Ich sehe einige Bürger, wie sie den Garten pflegen und einige Kinder, die in ihrem eingezäunten und hoffentlich virengeschützten Heim Fußball spielen. Ich sehe, wie sich ihre Münder öffnen und schließen, aber ich kann sie nicht hören. Ich höre nur Mrs. Weasley und ihren Mann streiten. Ich laufe an einer Tierklinik vorbei. Sie wirkt fast wie ein verlassener Urwald. Selbst hier in der sonst so reichlich besuchten Praxis Stille. Stille! Ein bisschen beängstigt mich dieses leere Gebäude, aber ich fühle mich auch frei. Ich überquere eine Brücke, ein einsamer alter Mann mit seinem Hund kommt mir entgegen. Ich nicke ihm kurz zu und laufe weiter. Bei einem baufälligen Bauernhaus lege ich eine kurze Pause ein. Ich bin erschöpft. Es stinkt nach Kuhmist. Harry Potter kommt endlich nach Hogwarts. Es muss wundervoll sein ein Zauberer zu sein. Kurz schaue ich zu einer Maus, wie sie an mir vorbeihuscht. Ich würde sie so gerne in eine Instant-Ausdauer-Flasche verwandeln. Genug von der Prokrastination. Heute müssen fünf Kilometer durchgezogen werden. Ich laufe an einem pinken Haus vorbei. Hier riecht es nach frischen Plätzchen. Ich bin nur mehr einen Kilometer von zu Hause entfernt. Ich schwitze. Harry träumt von Voldemort. Ich träume von der wohligen Wärme daheim und meinem Laptop. Über mir ziehen Wolken auf. Regen wäre jetzt das Allerletzte. Ich komme an meiner Nachbarsziege vorbei. Ob Selma sie heute schon gefüttert hat? Ich kann unser Haus schon sehen. Harry hat Ärger mit Hermine. Mir kommt ein rotes Auto entgegen. In dem Fahrzeug sind zehn Packungen Klopapier. Mich überkommt ein Gefühl von Ärger. Was ist aus der Menschheit geworden? Warum haben wir solche Angst? Endlich!! Ich öffne die Tür. Selma kommt mir rufend entgegen. Ich schalte Harry Potter aus und genieße wohlig klingende Laute wie ‘Wowa hnnnnn?’. Ich antworte auf ihre Frage, dass ich tatsächlich gelaufen bin und schließe die Tür hinter mir.

Endlich!


Ich wache auf und schaue auf die Uhr: 06:32. Ich schalte das Licht ein und setze mich auf die Couch. Es ist Sonntag – heute kein Homeschooling. Mein Lieblingsspiel wartet. Schon seit Tagen scheitere ich immer wieder an derselben Stelle. Es ist zum Haare-Raufen. Dabei kenne ich jeden Schritt auswendig: Zur ersten Plattform schießen, zur nächsten springen und wieder zur nächsten, Spielfigur fallen lassen, von einer Speerspitze auf eine Kreissäge stoßen lassen, dann von Kreissäge zu Kreissäge springen. Aus! Ich verfehle mein Ziel, lande in den Dornen und bin tot. So geht es immer und immer wieder, eine halbe Stunde lang. Nach jedem Tod stumpft meine Reaktion darauf immer mehr ab. Hatte ich anfangs noch Herzklopfen und einen hohen Puls, so macht es mir nun nichts mehr aus. Keine Reaktion. Nichts! Aber heute ist es anders. Heute ist mein Tag! Ich komme durch die tödliche Passage und falle in einen Tunnel. Pausentaste! Ich habe es geschafft. Ich lege meine Konsole beiseite und starre auf meine verschwitzten und zitternden Hände. Jetzt auf keinen Fall sterben! Weiter. Mein kleiner Ritter fällt in eine Arena. Zwei Hünen zu beiden Seiten bedrängen ihn, bedrängen mich! Ich gehe auf Abstand und feuere all meinen Zauber, den ich noch besitze, auf die Angreifer. Ich flüchte mich in eine Ecke, von wo es keinen Ausweg mehr gibt. Und ich habe nur mehr ein einziges Leben. Ich will jetzt nicht sterben, auf keinen Fall. Ich habe Rachegeister! Den ersten bekommt Angreifer Nummer Eins zu spüren, der ist erledigt! Nun muss ich in den Nahkampf. Geschickt weiche ich den Hieben den zweiten Ritters aus, springe über ihn und hetze in die andere Ecke der Arena. Rachegeist abgefeuert! Treffer! Der Kämpfer fällt um. Ungläubig starre ich auf den Bildschirm. „Endlich!“, höre ich mich sagen. Mit einem breiten Grinsen gehe ich frühstücken.

bottom of page